UN-Behindertenrechtskonvention

 

Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ist eine Konkretisierung der Menschenrechte für den Personenkreis von Menschen mit Behinderungen. 

Die UN-Behindertenrechtskonvention ist für die BRD rechtsverbindlich und gilt wie ein Bundesgesetz.

 

Entstehung der UN-Behindertenrechtskonvention

Der Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention war ein etwa vierjähriger Beratungsprozess in einem Ad-hoc-Ausschuss unter aktiver Beteiligung der Zivilgesellschaft vorangegangen. An der ersten Sitzung des Ausschusses im August 2002 nahmen 80 Mitgliedstaaten der UN und 30 Nichtregierungsorganisationen teil. An der letzten Sitzung im Dezember 2006 waren es 120 Mitgliedstaaten und 469 Nichtregierungsorganisationen. Darunter waren viele Menschen mit Behinderung, die ihre Erfahrungen, ihre politischen und gesellschaftspolitischen Vorstellungen und Visionen in den Beratungsprozess eingebracht haben.

Der Ad-hoc-Ausschuss war von der Generalversammlung der UN im Dezember 2001 mit dem Auftrag eingesetzt worden, ein umfassendes internationales Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Rechte und der Würde von Menschen mit Behinderung zu erarbeiten.

 

Begründung und Ziel der UN-Behindertenrechtskonvention

Weltweit betrachtet gehören Menschen mit Behinderung zu den Personen, die mit am häufigsten Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Für viele von ihnen sind extreme Armut, Obdachlosigkeit oder Gewalt, Zwangssterilisation, sexueller Missbrauch sowie fehlende Zugänge zu Gesundheitsversorgung und Bildung die Lebensrealität. Menschen mit Behinderung sind auch in den anderen Menschenrechtsübereinkommen erfasst, aber es war Konsens, dass ihre spezifischen Belange bislang zu wenig berücksichtigt wurden.

Das Ziel des Übereinkommens ist die menschenrechtlich begründete volle und gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen. Es verpflichtet die Vertragsstaaten u. a., Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu verbieten und Menschen mit Behinderung rechtlichen Schutz vor Diskriminierung zu gewährleisten.

 

Inhalt der UN-Behindertenrechtskonvention 

Zur Darstellung des Inhaltes der UN-Behindertenrechtskonvention haben wir den Text in der bidok von Theresia Degener übernommen.

Die UN-BRK besteht aus zwei völkerrechtlichen Verträgen: dem Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (BRK) und einem Fakultativprotokoll (FP), das besondere Verfahrensarten im Zusammenhang mit der Umsetzung der Konvention enthält.Artikel 1 bestimmt als Zweck der UN-BRK„ den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern.“Wie die UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) verfolgt die UN-Behindertenrechtskonvention einen ganzheitlichen Ansatz des Menschenrechtsschutzes mit staatlichen Achtungs-, Schutz-und Gewährleistungspflichten. Daneben enthält die Konvention auch Ziel-und Förderpflichten sowie Empfehlungen für staatliche und internationale Behindertenpolitik. Wie alle Menschenrechtsverträge ist auch die UN-BRK für die Vertragsstaaten bindend und hat somit zunächst öffentlich-rechtliche Wirkung. Darüber hinaus wirkt sie jedoch auch in den privatrechtlichen Bereich. Denn die Mitgliedstaaten sind gemäß Artikel 4 Absatz 1 e) verpflichtet, „alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung aufgrund von Behinderung durch Personen, Organisationen oder private Unternehmen zu ergreifen“. In personaler Hinsicht gilt die UN-BRK für alle Menschen mit Behinderung. Der Personenkreis wird nicht abschließend definiert, sondern in Artikel 1 beispielhaft beschrieben. Zur Gruppe zählen „Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.“ Der Geist der UN-BRK ergibt sich neben ihrer Zweckbestimmung insbesondere aus den acht allgemeinen Prinzipien, die in Artikel 3 enthalten sind. Zu ihnen gehören das Prinzip der Autonomie und der damit verbundenen Achtung der Menschenwürde, die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, Chancengleichheit und Barrierefreiheit, der Partizipation und Inklusion sowie das Prinzip der Diversität behinderter Menschen und der Akzeptanz dieser Menschen als Teil menschlicher Vielfalt. Die beiden letzten Grundsätze „die Gleichberechtigung von Mann und Frau“ und „die Achtung vor den sich entwickelnden Fähigkeiten von Kindern mit Behinderungen und die Achtung ihres Rechts auf Wahrung ihrer Identität“ unterstreichen die Bedeutung von geschlechter-und alterssensibler Behindertenpolitik. Artikel 4 definiert die allgemeinen Pflichten, welche die Vertragsstaaten bei der Umsetzung dieser Menschenrechtskonvention zu beachten haben, und ist daher als das „rechtliche Herzstück“ für die Implementierung anzusehen. Das Thema der Bewusstseinsbildung wird in Artikel 8 noch einmal gesondert aufgeführt. Die Staaten sind aufgerufen, mit vielfältigen Maßnahmen „Klischees, Vorurteile und schädliche Praktiken gegenüber Menschen mit Behinderungen“ zu bekämpfen und in der Gesellschaft allgemein positiv über Behinderung aufzuklären. Dabei wird den Medien eine wichtige Rolle zugeschrieben. Diese Obliegenheit gehört, wie die objektive Pflicht der Herstellung von Barrierefreiheit nach Artikel 9, zum Innovationspotenzial der Konvention. Die UN-BRK enthält mindestens siebzehn subjektive Menschenrechte. Sie entsprechen den in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung von 1949 und in den beiden internationalen Kern-Menschenrechtspakten (Zivil- und Sozialpakt von 1966) enthaltenen Menschenrechten weitgehend. Während der Verhandlungen wurde immer wieder betont, dass mit der Behindertenrechtskonvention keine neuen Menschenrechte oder gar Sonderrechte geschaffen werden sollten. Vielmehr sollte der vorhandene, universal anerkannte Menschenrechtskatalog auf den Kontext von Behinderung zugeschnitten werden. Ob die UN-BRK tatsächlich keine neuen Menschenrechte enthält, obwohl einige ihrer Artikel keine direkten Entsprechungen in anderen Menschenrechtsverträgen finden, wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur bereits diskutiert.

 

Vier Konfliktlinien in der UN-Behindertenrechtskonvention

Bereits während der Erarbeitung des ersten Entwurfs der UN-BRK zeichneten sich vier Konfliktlinien ab, die alle weiteren Sitzungen des Ad-hoc-Ausschusses beherrschen sollten.

Der erste Konflikt kreiste um die Frage der rechtlichen Handlungsfähigkeit von Menschen mit Behinderung. Während die Arbeitsgruppe des Ad-hoc-Ausschusses, die den ersten Entwurf der UN-BRK im Januar 2004 vorlegte, mehrheitlich darin übereinstimmte, dass ein Paradigmenwechsel von der Stellvertretung zur assistierten Entscheidungsfindung bitter nötig sei, konnte dagegen zunächst kein Konsens über die Frage erzielt werden, ob für Ausnahmefälle rechtliche Stellvertretung zulässig sein sollte.

Die zweite Konfliktlinie betraf das Thema Zwangsbehandlung und Institutionalisierung. Während weitgehende Einigkeit darüber bestand, dass die Unterbringung in Heimen und Sondereinrichtungen mit einer an den Menschenrechten orientierten Behindertenpolitik nicht vereinbar ist, gab es Dissens in der Frage, wie explizit Zwangsbehandlung und Institutionalisierung verboten werden sollten. Insbesondere die Staatenvertreter_innen argumentierten für rechtsstaatlich abgesicherte Ausnahmetatbestände zur Zwangsbehandlung vermeintlich gefährlicher Menschen mit Behinderung. Expert_innen aus der Zivilgesellschaft plädierten hingegen für ein absolutes „Folterverbot“.

Die dritte Konfliktlinie betraf die Frage des Umgangs mit unterschiedlichen sozialen, religiösen und kulturellen Werten. Die Herausforderung bestand darin, einerseits behindertenspezifische Diskriminierungen, wie Zwangssterilisation, Heiratsverbote oder andere Einschränkungen der sexuellen und reproduktiven Selbstbestimmung, zu verbieten und andererseits die unterschiedlichen Wertvorstellungen in den Mitgliedsstaaten zu respektieren.

Das vierte Konfliktthema lässt sich mit den Stichwörtern Inklusion versus Segregation umschreiben. Während bei den meisten Beteiligten Einigkeit darüber herrschte, Inklusion im Allgemeinen als das anzustrebende Ziel zu sehen, gab es im Hinblick auf die Bereiche Bildung und Arbeit viel Dissens. So stritten beim Thema Bildung insbesondere die Blinden-, Taubblinden-und Gehörlosenverbände für ein Menschenrecht auf Sonderschulen zur Sicherung qualitativ hochwertiger Bildung und der eigenen kulturellen Identität, während es beim Thema Arbeit vornehmlich um die Frage ging, ob Werkstätten für Menschen mit Behinderungen als mögliche Alternativen zum ersten Arbeitsmarkt angesehen werden sollten.

Während der Verhandlungen wurde der anvisierte Paradigmenwechsel immer wieder infrage gestellt und mühevoll um Konsens gerungen. Schließlich wurde die UN-BRK zusammen mit dem Fakultativprotokoll nach dritter Lesung des Entwurfs am 25. August 2006 verabschiedet und – nach redaktioneller Überarbeitung – von der UN-Generalversammlung am 13. Dezember 2006 einstimmig verabschiedet.

Der Erfolg der Arbeit des Ad-hoc-Ausschusses lässt sich nicht nur am Text der Behindertenrechtskonvention ausmachen, der insgesamt einen klaren menschenrechtlichen Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik postuliert und in vielerlei Hinsicht innovativ ist. Er lässt sich auch an der Zahl der Unterzeichnerstaaten am 30. März 2007 ablesen. Über 80 Staaten – darunter auch Deutschland – unterzeichneten das Übereinkommen am ersten Tag der Auslegung zur Signatur. Damit ist die UN-BRK die am schnellsten verhandelte Menschenrechtskonvention mit der höchsten Anzahl von Erstunterzeichnerstaaten in der Geschichte der Vereinten Nationen.

 

Lösung der Hauptkonfliktlinien

Die vier oben erwähnten Hauptkonfliktthemen wurden in der verabschiedeten Fassung der UN-BRK folgendermaßen gelöst:

Das Menschenrecht auf gleiche Anerkennung vor dem Recht wurde in Artikel 12 als klare Absage an ein System der stellvertretenden Entscheidungsfindung formuliert. Alle Personen mit Behinderung werden als rechts-und handlungsfähig anerkannt. Staaten haben die Pflicht, ein System der assistierten Entscheidungsfindung zugänglich zu machen. Außerdem müssen die Vertragsstaaten dafür Sorge tragen, behinderte Menschen vor Missbrauch bei der Ausübung rechtlicher Handlungsfähigkeit zu schützen.

Der Konflikt um Zwangsbehandlung und Institutionalisierung wurde ausgeräumt durch den Verzicht auf ein wörtliches Verbot einerseits sowie andererseits durch die Einbringung deutlicher Schutzrechte gegen derartige Behandlungen an verschiedenen Stellen im Übereinkommen. Neben einem allgemeinen Folterverbot (Artikel 15) ist in Artikel 16 der Schutz gegen Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch festgeschrieben. Die körperliche und psychische Integrität wird durch Artikel 17 geschützt, und Artikel 19 verpflichtet die Vertragsstaaten, dafür Sorge zu tragen, dass Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt außerhalb von Anstalten und anderen Sondereinrichtungen leben können.

Für die Berücksichtigung unterschiedlicher sozialer, kultureller und religiöser Werte wurden Kompromisse gefunden, die nicht hinter die Errungenschaften zurückfielen, die beispielsweise für Frauen auf Weltkonferenzen der Vereinten Nationen zum Thema Familienplanung und reproduktive Selbstbestimmung erzielt worden waren. So sichern insbesondere Artikel 23 (Achtung der Wohnung und der Familie) und Artikel 25 (Gesundheit) behinderten Menschen ein Recht auf diskriminierungsfreien Zugang zu Partnerschaft, Elternschaft und Ehe sowie zu sexual- und fortpflanzungsmedizinischen Gesundheitsleistungen zu.

Die vierte Konfliktlinie Inklusion versus Segregation konnte zugunsten eines klaren Bekenntnisses zur Inklusion aufgelöst werden. Das Recht auf inklusive Bildung wurde nicht als Wahlrecht zwischen Sonder-oder Regelschule, sondern als Recht auf Inklusion im Regelbildungssystem ausgestaltet. Hinsichtlich des Rechts auf Arbeit ist von einem „allgemeinen Arbeitsmarkt“ die Rede. Werkstätten für Menschen mit Behinderungen werden nicht ausdrücklich verboten, sie werden aber auch nicht als mögliche Alternativen zum ersten Arbeitsmarkt benannt.

Als Rahmenlösung aller Konfliktthemen, die sich während der Verhandlungen zu der Konvention ergaben, wurde eine umfassende Verankerung des Nichtdiskriminierungsprinzips gewählt. Dieses findet sich in jedem einzelnen verankerten Menschenrecht sowie ausführlich im allgemeinen Teil der UN-BRK. Mit Artikel 5 wurde diesem Prinzip eine eigenständige Norm gewidmet, die jede Form von Diskriminierung aufgrund von Behinderung verbietet und Maßnahmen zur Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen fordert. In Bezug auf behinderte Frauen und Mädchen wird erstmals in einer Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen auch mehrfache Diskriminierung anerkannt (Artikel 6 Absatz 1).

Verglichen mit den anderen Kern-Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen und im Besonderen mit dem deutschen Recht, enthält die UN-BRK ein weitergehendes Diskriminierungsverbot, gilt doch in ihr bereits die „Versagung angemessener Vorkehrungen“ als Diskriminierung. Zu verstehen sind darunter gemäß Artikel 2 „notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen und die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen oder ausüben können“.

Auch im Umsetzungsteil (Artikel 33 ff.) enthält die Konvention Regelungen mit hohem Innovationspotenzial. So wurden neben dem internationalen Überwachungssystem nationale Umsetzungs-und Monitoring-Strukturen etabliert, die das Menschenrechtssystem der Vereinten Nationen insgesamt weiterentwickeln werden. Zusätzlich zu dem in Genf angesiedelten Überwachungsausschuss auf internationaler Ebene sieht die Konvention auf nationaler Ebene die Einrichtung sogenannter Focal Pointsund Koordinationsstellen sowie eine unabhängige Monitoring-Stelle vor, denen sowohl die allgemeine Umsetzung der UN-BRK als auch deren Überwachung obliegt. Ebenso gibt die Konvention vor, dass diese Prozesse unter Beteiligung von Behindertenverbänden erfolgen müssen.